Die verrückte Welt der Hundegeschirre

Worauf sollten wir bei der Auswahl eines Geschirrs achten?

Geschirrarten

Geschirr gleich Geschirr?

Führgeschirre, Step-In-Geschirr, Zuggeschirre, Sicherheitsgeschirr, Sattelgeschirr – die Auswahl an Hundegeschirren für diverse Zwecke ist riesig. Aber sollten wir uns bei unserer Auswahl nur auf schickes Aussehen konzentrieren oder noch mehr?

Natürlich gibt es mehr zu beachten, als Muster und Farbe des Hundegeschirrs.

Früher haben Hunde meist nur für spezielle Aufgaben (etwa um Karren zu ziehen) Geschirre getragen. Heute werden Hunde meistens am Geschirr spazieren geführt, seltener sind Geschirre für bestimmte Zwecke wie Ziehen oder Trailen. Manche führen ihre Hunde ausschließlich am Halsband, andere halten das Halsband für Tierquälerei und führen ausschließlich am Geschirr. Das Argument, welches dabei häufig genutzt wird, ist, dass das Geschirr im Gegensatz zum Halsband für den Hund gesünder wäre. Was ist aber, wenn ein Geschirr jahrelang falsch getragen wird oder meinen Hund einschränkt?

Worauf sollten wir achten?

Gehen wir zuerst auf die Kernpunkte ein, auf die man bei einem Geschirr grundsätzlich achten sollte. Ich spreche hier pauschal vom Normalo-Couch-Haushund ohne besondere Beschwerden oder Aufgaben. Das lässt sich natürlich nicht auf jeden Hund 1:1 anwenden.

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1. Sitz des Brustgurtes

Um einwirkende Kräfte möglichst gleichmäßig und schonend zu verteilen, sollte der Brustgurt des Geschirrs mittig über dem Rippenbogen aufliegen. Er sollte nicht locker sein und auch nicht einschnüren. Er sollte nicht auf den letzten Rippen liegen, aber auch nicht direkt hinter dem Ellenbogen.

2. Scheuern in der Achsel

Sitzt der Brustgurt direkt hinter den Vorderbeinen, kommt es auf Dauer zu unangenehmen Scheuerstellen hinter dem Ellenbogen. Neben dem Punkt, dass das für den Hund unangenehm ist, könnten sich die Stellen auch entzünden.

3. Schulterfreiheit

Um sich entspannt im Geschirr bewegen zu können, sollte die Schulterbewegung des Hundes nicht eingeschränkt werden.

 

In manchen Fällen lässt es sich leider nicht komplett vermeiden, wenn wir auf die Arbeit von Blindenführhunden oder Rettungshunden gucken.

Warum ist die Schulterfreiheit wichtig?

Im Video von @dutchie.daemon könnt ihr wunderbar sehen, welchen Unterschied eine blockierte Schulter gegenüber einer freien Schulter im Bewegungsablauf macht.

Das Führgeschirr

Das meistgenutzte Geschirr bei unseren Hunden. Es ist das Alltagsgeschirr, manchmal auch gleichzeitig das Geschirr zum Autofahren und wird tagtäglich genutzt. Es besteht aus einem Brust- und einem Rückensteg und einem Hals- und einem Brustring.

Das Sicherheitsgeschirr

Die erweiterte Form des Führgeschirrs für unsichere oder ängstliche Hunde ist das Sicherheitsgeschirr. Es erweitert das Führgeschirr um einen längeren Rückensteg und einen weiteren Bauchgurt, der ein Herausschlüpfen aus dem Geschirr vermeiden soll.

Das Zuggeschirr

Die ganz spezielle Form für die Sportler unter uns: Das Zuggeschirr. Ob X-Back, H-Back oder Safety, ob für Canicross, Bikejöring, Skijöring oder Gewichte ziehen: Die Latte an verschiedenen Zuggeschirren ist ewig lang. Entsprechend umfangreich und speziell ist das Thema, welches hier den Rahmen sprengen würde. Wenn ihr mit eurem Hund in den Zugsport einsteigen wollt, kauft nicht einfach irgendein Zuggeschirr. Lasst euch von erfahrenen Sportlern oder eurem Trainer dazu beraten, denn die erhöhte Belastung auf den Körper des Hundes erfordert noch ein viel genaueres Auge, als beim Kauf eines Alltagsgeschirrs.

Das Step-In-Geschirr

Das Geschirr der kleinen Hunde. Dabei sehr prominent sind Modelle aus breitem, weichen Stoff und aus Gurten. Diese Geschirrart wird meistens bei kleineren Hunden verwendet. Es wird gern damit geworben, dass das Geschirr für kopfscheue Hunde perfekt sei. Es wird von unten angezogen, indem der Hund mit seinen Pfoten in die Löcher steigt und das Geschirr auf dem Rücken geschlossen wird. Durch die Bauart ergibt sich bereits das erste Problem: Das Step-In-Geschirr liegt direkt hinter dem Ellenbogen an, um dem Geschirr seinen Halt zu geben. Die Achsel dient im Grunde als Gegenzug zur Schnalle am Rücken. Es kann zu Scheuerstellen im Achselbereich kommen. Einige der Gurtvarianten ziehen außerdem mit den vorderen Gurten direkt über die Schulter und blockieren diese zusätzlich.

Das Norwegergeschirr

Norwegergeschirre zeichnen sich durch einen quer vor den Schultern verlaufenden Brustgurt ab. Sie werden damit beworben, dass sie sich leicht anziehen lassen und den Hund nicht durch einen durch den Beinen verlaufenden Gurt stören. Außerdem sollen sie weniger Belastung für die Rückenmuskulatur darstellen. Ist dem wirklich so?

Schauen wir nochmal auf die Anatomie des Hundes und wo das Norwegergeschirr liegt. Es hat einen Gurt, der rund um die Brust verläuft. Der Quergurt verläuft direkt über dem Schultergelenk und dem Schulterblatt. Das bedeutet, dass der Hund in der Vorwärtsbewegung gegen den Quergurt arbeiten muss. Muskulatur, die für die Streckung der Schulter und für die Vorwärtsführung der Vordergliedmaße zuständig ist, muss bei jedem Schritt gegen den Gurt arbeiten, als es bei einer freien Bewegung der Fall ist. Das ist, als ob ihr euch beim Spaziergang ein dickes Gummiband um die Schultern bindet. Die Folge ist eine verkrampfte (hypertone) Schultermuskulatur. Hat die Muskulatur keine Möglichkeit mehr sich zu entspannen, beginnt der Kreislauf. Der Stoffwechsel in den Muskeln wird beeinträchtigt, die Verkrampfung löst sich nicht mehr vollständig und sorgt zusehends für Schmerzen, die der Hund anderweitig kompensieren muss. Das ist auch schon die ganze Geschichte.

Das Sattelgeschirr

Das Sattelgeschirr ist eine Sonderform des Norwegergeschirrs. Die populärsten von ihnen sind wohl die JULIUS K9 Geschirre, die es in vielen verschiedenen Formen und Farben gibt, manchmal auch mit Klettschildchen mit lustigen Namen oder Sprüchen drauf. Vom Grundaufbau her unterscheidet es sich nicht zum Norwegergeschirr. Dem der sich tiefer mit der Materie beschäftigen möchte, empfehle ich das Buch “Hunde in Bewegung” von Martin S. Fischer und Dr. Karin E. Lilje. Der Inhalt basiert auf einer Studie mit über 300 Hunden aus 32 verschiedenen Rassen und beschäftigt sich auch mit dem Thema Geschirre und Schulterfreiheit beim Hund.

Das Dreibeingeschirr

Dreibeingeschirre unterscheiden sich nicht allzu sehr von den Führ- oder Sicherheitsgeschirren. Fehlt eurem Hund eine der Hintergliedmaßen, könnt ihr ihn mit einem zusätzlichen Bauchgurt und extra gepolstertem Bruststeg unterstützen. Solche Geschirre besitzen häufig auch einen weiteren Griff am hinteren Ende, um den Hund in der verbliebenen Hinterhand besser unterstützen zu können. Fehlt eurem Hund eine Vordergliedmaße, könnt ihr auf übliche Führ- oder Sicherheitsgeschirre mit extra breit gepolstertem Bruststeg zurückgreifen. Achtet auf passende Maße, um das Geschirr vor dem Verrutschen zu schützen. Verrutscht es dennoch, werden zum Teil auch Geschirre mit einem zusätzlichen Steg auf der Seite des verbliebenen Vorderbeins angeboten.

Das Mantrailgeschirr

Beim Mantrailing oder Menschensuche braucht der Hund kein Geschirr, welches ihn sonderlich einschränken könnte. Auch Führgeschirre sind hier nicht ratsam, weil sie sich bei Zug gern über die Schulterblattspitzen schieben. Für diese Zwecke gibt es spezielle Mantrailinggeschirre, die dem Hund am Hals genügend Platz einräumen, um trotz hohem Zug frei atmen zu können und sich frei bewegen zu können. Fragt am besten bei eurem Trainer nach einem passenden Geschirr für eure Mantrailingarbeit!

Der Expander

Hunden, die aufgrund von Alter oder anders bedingter Hinterhandschwäche ihre Pfoten nicht mehr richtig heben können, kann der Expander helfen. Der Expander wird an einem Führgeschirr befestigt. Schlaufen werden um die Hinterläufe gebunden und zwei Gummis sorgen dafür, dass die Pfoten bei Vorwärtsbewegung sanft nach oben gezogen werden. So kann man ein Schleifen der Pfoten verhindern und dem Hund ein besseres Bewegungsgefühl geben. Aber Achtung: Nur in Zusammenarbeit und Anleitung eures Tierarztes oder Tierphysiotherapeuten zu verwenden!

Natürlich waren das noch längst nicht alle aus der verrückten Welt der Hundegeschirre – aber doch die meisten! Ich hoffe der kleine Einblick konnte euch hier und da ein paar Fragen beantworten.

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Denise Töpfer

Hundephysiotherapeutin

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